Solidaritätslauf Aachen

Halt & Hilfe - Damit jeder Mensch von seiner Arbeit leben kann
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Das Leben gerät in Schieflage

Verbandlerin Agnes Schnieders und Seelsorgerin Marlies Conen begleiten Menschen ohne Arbeit

17_Solikollekte (c) Andrea Thomas
17_Solikollekte
Datum:
Di. 24. Apr. 2012
Von:
Andrea Thomas
Die Würde des Menschen ist unantastbar. So sagt es das Grundgesetz. Doch nicht immer nehmen die Lebensumstände und die Gesellschaft darauf Rücksicht. Verliert ein Mensch seine Arbeit, dann verliert er auch schnell Achtung und Selbstwertgefühl. Seine Würde ist angetastet.

„Brüche gehören zum Leben. Aber es wird in unserer Gesellschaft oft suggeriert, dass das nicht sein darf“, sagt Agnes Schnieders. Gemeinsam mit Marlies Conen, zuständig für den Bereich „Pastoral in der Arbeitswelt“ beim Bistum Aachen, kümmert sich die KAB-Sekretärin in den Regionen Aachen-Stadt und Aachen-Land um Menschen, die sich plötzlich mit Arbeitslosigkeit und ihren Folgen konfrontiert sehen. Im Team betreuen sie Stammtische für die ehemaligen Mitarbeiter der Firmen Vetrotex und PME (ehemals Schmetz) in Herzogenrath und Cinram in Alsdorf. Der Stammtisch der ehemaligen Mitarbeiter von LG Phillips ist im letzten Sommer nach fast sechs Jahren ausgelaufen. Dazu kommt die Gruppe „Frauen stärken für und in Erwerbsarbeit“ in Alsdorf, eine Kooperation der Pfarrei St. Castor und der KAB im Bistum Aachen, sowie der Kontakt zu Firmen in der Region, bei denen bekannt ist, dass Entlassungen anstehen. So haben sie beispielsweise mit dem „Aachener Netzwerk Kirche und Betrieb“ das Gespräch mit den Mitarbeiterinnen von Schlecker gesucht. „Die Frauen waren ganz überrascht und haben sich gefreut, dass Kirche sich mit ihnen solidarisch erklärt“, schildert Agnes Schnieders die Reaktionen. Für sie und ihre Kollegin keine Frage. „Kirche, die nicht dient, dient zu nichts“, macht Marlies Conen deutlich. Es sei die Aufgabe der Kirche, bei den Menschen zu sein, egal wie tief verwurzelt die sich selbst in ihr noch sähen. Jeder Mensch habe als Sohn oder Tochter Gottes ein Recht auf ein Leben in Fülle.

Die Realität sieht anders aus. Unter den Menschen, die sie begleiten, sind viele gut qualifizierte Mitarbeiter, die sich viele Jahre mit vollem Engagement für ihre Firma eingesetzt haben. Plötzlich zählt das nichts mehr. Sie sind über 50, ohne Job und auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbar. Die Zukunft sieht düster aus, was diese Menschen auch wissen. „Neue Jobs werden meist schlechter bezahlt, es gibt fast nur noch Leiharbeit, Erfahrungszeiten in der alten Firma werden gar nicht oder nur teilweise berücksichtigt“, zählt Marlies Conen einige Punkte auf. Dazu kommt die Unsicherheit beim Bewerben und die große Angst vor dem Abrutschen in Hartz IV.

Marlies Conen nennt Beispiele: „Da ist der Mann von Mitte 50, mit eigenem Häuschen, der immer gespart hat und weiß, in zwei Jahren ist das alles weg.“ Es gibt viele dieser Einzelschicksale, die sie in den Stammtischrunden zu hören bekommen. Wie das von Herrn B. Um nicht arbeitslos zu werden, hat er einen Job bei einer Leiharbeitsfirma angenommen. Die Bezahlung lag 40 Prozent unter seinem Lohn bei der alten Firma. Im ersten Jahr zahlte die Agentur für Arbeit, weil er über 50 Jahre alt ist, noch die Hälfte der Differenz, im zweiten Jahr immerhin noch 30 Prozent. Danach lief auch das aus. Eine gleich gut bezahlte Stelle finde man fast nie, so Marlies Conen. Auf der Schiene Leiharbeit würden so aus Facharbeitern Hilfsarbeiter, weil es angeblich keinen Job für sie gibt. Aus 12 Euro Stundenlohn werden irgendwann 7,80 Euro. Mehr ist die Arbeitskraft dann nicht wert.

 

Anlaufstellen für ihre Sorgen

Neben den finanziellen Sorgen stellt Arbeitslosigkeit außerdem das ganze Leben in Frage. Männer ohne Arbeit fühlten sich häufig „unmännlich“. Das Gefühl, die Familie nicht mehr ernähren zu können, von der Frau abhängig zu sein, ist ein harter Schlag für das Selbstwertgefühl. Nicht selten endet das in Alkohol, Gewalt oder Scheidung. Gerade Männer, so Agnes Schnieders, hätten über die Kollegen hinaus wenig Sozialkontakte, die dann mit einem Mal auch weg seien. Verliere eine Frau ihre Arbeit, verliere sie ein Stück Selbstständigkeit.

Die Stammtische sind Anlaufstellen. Hier trifft man die alten Kollegen, jeder kennt jeden, interessiert sich für die Sitation des anderen: „Erzähl, wo hast du dich beworben?“ Dieser Austausch, der Zuspruch und die Tipps, die sie sich untereinander gäben, sei wichtig, so die Erfahrung von Agnes Schnieders und Marlies Conen. Dazu kommen sie, sowie bei Vetrotex und Cinram die Mitarbeiter der Transfergesellschaft, die neben einem offenen Ohr für Probleme auch praktische Hilfestellung leisten könnten. „Eine engagierte Transfergesellschaft hilft bei der Bewältigung all der Dinge, die auf die Leute zukommen. Alles aus einer Hand, das schafft Vertrauen. Wir können bei grundlegenden Dingen an die Beratungsstellen des Bistums weitervermitteln. Gerade bei der richtigen Antragsstellung mangelt es am Wissen über Rechte und Pflichten“, erläutert Verbandlerin Agnes Schnieders. Ein weiterer wichtiger Punkt sei, den Betroffenen eine Stimme zu geben und sie dabei zu unterstützen, sich in der Öffentlichkeit zu Wort zu melden. So haben sie die ehemaligen Vetrotex-Mitarbeiter unterstützt, mit einer Demo und Mahnwachen ihren Frust auf die Straße zu tragen. Mit den ehemaligen Mitarbeitern von PME haben sie Bürgermeister und Presse zum Gespräch eingeladen.

Aktiv für ihre Belange treten auch die Frauen der Gruppe „Frauen stärken“ aus Alsdorf ein. Sie haben bereits zweimal den internationalen Frauentag im März genutzt, um in der Innenstadt mit kreativen Aktionen auf die schwierige Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt aufmerksam zu machen. „Das ist ganz toll, zu sehen, wie Frauen, die sich eigentlich schon verkrochen hatten, in die Öffentlichkeit gehen“, berichtet Agnes Schnieders. Zu sehen, wie Menschen wieder Mut schöpfen, macht die von ihnen betreuten Projekte auch für Marlies Conen so wichtig. „Hier funktioniert auch die Kombi KAB und Pastoral gut, unsere Blickwinkel ergänzen sich“, sagt sie.

 

Tolle Aktion der Solidarität

Ohne die Netzwerke aus Beratung, Qualifizierung und Begleitung von Menschen ohne Arbeit, die Kirche hier knüpfe, würden Menschen in dieser für sie unwürdigen Situation oft ganz allein gelassen. „Das macht die Soli-Kollekte, ohne die diese Netzwerke nicht möglich wären, zu einer so tollen Aktion für Menschen, die arm gemacht und an den Rand gedrängt werden“, betont Agnes Schnieders. Die Würde eines Menschen ist nicht nur ein Grundrecht, sondern auch eine Frage von Solidarität, oder anders: christlicher Nächstenliebe.

 

Info

Die Solidaritätskollekte für Arbeitslosenprojekte im Bistum Aachen findet in diesem Jahr am 5. und 6. Mai statt. Sie steht unter dem Motto: „Weil Arbeit nicht vom Himmel fällt … sind wir gefragt“. Im Bistum werden über 50 kirchliche Arbeitslosenmaßnahmen gefördert, deren Aufgabe in der Beratung, Bildung, Begegnung und Selbsthilfe für die Betroffenen liegt. Das Bistum stellt pro Jahr 810000 Euro Kirchensteuermittel zur Verfügung. Dazu kommen Spenden und die Kollekteneinnahmen, im letzten Jahr fast 50000 Euro. Die jährlich stattfindende Aktion ist ein wichtiges solidarisches Zeichen von Christen mit arbeitslosen Menschen. Sie ist zu einem wichtigen Beitrag der Gemeinden geworden, ein Zeichen der Verbundenheit mit Arbeitslosen zu setzen. www.solidaritaetskollekte.de.